Autor Broch, Hermann rororo #343-344
  Oesterreich
Titel Der Versucher
   
   
Umschlaggestaltung Rebhuhn, Werner
rororo Taschenbuch Ausgabe 343-344
   
Auflage(n) 1.-38. Tsd. 01/1960
 
434 Seiten
dt. Erstausgabe Zürich: Rhein, 1953
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Hermann Broch, neben Kafka und Musil der bedeutendste Romancier der deutschen Literatur dieses Jahrhunderts, wurde 1886 als Sohn eines Textilfabrikanten in Wien geboren. Er wollte zuerst Mathematiker werden, und noch, als er längst leitender Direktor eines Textilkonzerns und Vorstand des Industrieverbandes war, schien ihm die Beschäftigung mit der Mathematik so wichtig, daß er 1928 seine Posten aufgab und diese Wissenschaft wieder bis 1931 studierte, da sich ohne sie kaum mehr philosophieren lasse. Die Philosophie lenkte ihn dann auf Gebiete, die ihrer Subjektivität wegen mathematischer Behandlung unzugänglich sind. «Diese Subjektivität drängt mich dorthin, wo sie radikal legitim ist, nämlich ins Dichterische. Und so habe ich 1929 auch die "Schlafwandler" zu schreiben begonnen...» In dieser großangelegten Trilogie (1929 bis 1932), deren Einzeltitel «1888 — Pasenow oder Die Romantik», «1903 — Esch oder Die Anarchie» und «1918 — Huguenau oder Die Sachlichkeit» heißen, schildert Broch im epischen Stil der jeweiligen Zeit an typischen Charakteren die antihumanitäre Entwicklung Deutschlands, die Zersetzung der bürgerliclien Gesellschaft und den Zerfall ihrer moralischen Werte. 1933 veröffentlichte er den kleinen Roman «Die unbekannte Größe», dann zog er sich in die steierischen Berge zurück. Dort, in Alt-Aussee, wurde er nach der Besetzung Österreichs durch deutsche Truppen verhaftet. In der Zelle, ständig den Abtransport nach Dachau vor Augen — ein Zustand, der ihn «zu sozusagen privater Todesvorbereitung nötigte» — begann er mit der Arbeit an jenem Roman, der est 1945 in Amerika fertig werden sollte: «Der Tod des Vergil». Er gilt heute als das Hauptzeugnis einer Dichtung, die auf der Höhe des Bewußtseins unserer Zeit ist. Dem sterbenden Vergil erschließt sich im Fieberrausch die Überwirklichkeit des Daseins, und in der beginnenden Agonie kommen ihm Zweifel am Sinn seiner Lebensarbeit, am Sinn der Kunst und eines ihr gewidmeten Lebens. Auch die Zweifel Brochs, dieses integren, übersensiblen und gewissenhaften Dichters, gingen so weit, daß er nur weiterschrieb und publizierte, um seine Freunde — unter ihnen James Joyce — nicht zu enttäuschen, durch deren Einsprache er 1938 vorläufig aus der Haft entlassen wurde. Es gelang ihm, aus Österreich nach den Staaten zu entfliehen. In Amerika wurde er alsbald mit Preisen der Guggenheim- und der Rockejeller-Stiftung ausgezeichnet, die ihm seinen Lebensunterhalt zunächst sicherten. 1950 erschien sein letzter vollendeter Roman «Die Schuldlosen», dessen Titel die Durchschnittsmenschen meint, deren politische Gleichgültigkeit sie im ethischen Sinne schuldig werden läßt. Brochs umfangreiches Gesamtwerk, darunter zwei Essaybände «Dichten und Erkennen» und «Erkennen und Handeln», erschien im Rhein-Verlag, Zürich. Broch starb 1951. Sein Herz war erschöpft. 1950 war er für den Nobelpreis vorgeschlagen worden.
Inhalt: Das hier vorgelegte Werk wurde erst 1953 aus dem Nachlaß veröffentlicht. Es ist der erste geniale dichterische Beitrag zur politischen Dämonologie der Gegenwart. In einer symbolischen, von magischem Realismus getragenen Handlung läßt Broch in einem Alpendorf einen landfremden Wanderer, einen Scharlatan der Heilkunde, die irrationalen Antriebe der Bevölkerung mit leerem Blick und suggestiver Führerstimme entfesseln, bis Haß und Angst sich in einem Mord, den der Versucher als Sühneopfer fordert, zu erlösen trachten.