Autor Dreiser, Theodore rororo #74
  USA
Titel Schwester Carrie
  Sister Carrie
Übersetzung Nußbaum, Anna
Umschlaggestaltung Gröning, Karl jr.
Pferdmenges, Gisela
rororo Taschenbuch Ausgabe 74
   
Auflage(n) 1.-50. Tsd. 02/1953
100. Tsd. 03/1956
 
310 Seiten
dt. Erstausgabe Wien: Zsolnay, 1929
|
Die Wende der amerikanischen Literatur leitete der 1871 als Sohn eines rheinischen Hüttenverwalters in Terre Haute/Indiana geborene Theodore Dreiser mit dem hier vorliegenden 1900 entstandenen, aber erst 1907 an die Öffentlichkeit gelangten Roman "Schwester Carrie" ein.
   Dreiser wurde mit diesem Werk der erste unter den großen amerikanischen Erneuerern der Literatur, der damit die Forderungen des Naturalismus, wie ihn Zola in Europa geprägt hatte, in Amerika sowohl formal wie inhaltlich voll erfüllte. Die Heldin des Romans, ein Mädchen aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, wird durch die Not der Arbeitslosigkeit die Geliebte eines Handlungsreisenden. Sie gibt ihn auf, um seinen reichen Freund zu heiraten, der um ihretwillen Familie und Vermögen im Stich läßt, sozial Stufe um Stufe sinkt, bis er schließlich im Nachtasyl endet. Carrie rettet sich aus diesem Zusammenbruch einer Liebesehe in eine überraschende schauspielerische Karriere. Die naturalistische Wahrhaftigkeit des Werkes, das mit wilder Ehe und Scheidung als Thema und einer scharfen sozialen Kritik als Inhalt die Grundbegriffe einer puritanischen Moral erschütterte, empörte die Öffentlichkeit so sehr, daß sein erster Verleger sich gezwungen sah, es dem Buchhandel vorzuenthalten. Heute zählt der Roman zu den bedeutenden Pionierwerken der amerikanischen Moderne und hat längst internationalen Ruhm erlangt. Die Paramount verfilmte ihn kürzlich erfolgreich unter der Regie William Wylers mit Jennifer Jones und Sir Laurence Olivier in den Hauptrollen.
   Auch Dreisers 1911 erschienener Roman "Jenny Gerhardt" schildert ein Frauenschicksal im Kampf mit einer brutalen, eigennützigen, auf äußeren Schein und Dünkel begründeten Gesellschaftsordnung, und die nun folgenden Werke "Der Finanzier" (1912) und "Der Titan" (1914) üben ebenfalls schärfste Sozialkritik. Sie bleibt Dreisers Aufgabe bis zu seinem 1946 posthum erschienenen bedeutenden Roman "Das Bollwerk". Was der akademische Realismus vor ihm sich zu entblößen scheute, nämlich das nackte Bild der Gesellschaft, die im blinden Willen nach Macht, Reichtum und Liebe keine Menschlichkeit kennt, prangerte dieser große Epiker unermüdlich an. Man rächte sich damit, daß man seine Bücher vulgär, ihn selbst arrogant, seine Frauen fragwürdig, seine Ideen schwerfällig und seinen Stil abscheulich nannte. Den 191} erschienenen Maler-Roman "Das Genie" ließ die "Gesellschaft zur Unterdrückung des Lasters" verbieten, und jahrzehntelang hatte dieser große Erzähler die Kritik, mit H. L. Mencken an der Spitze, gegen sich. Erst die 1925 erschienene, nach einem wirklichen Mordfall gestaltete "Amerikanische Tragödie", die H. G. Wells als "einen der größten Romane unseres Jahrhunderts" bezeichnete, gewann ihm Weltruhm. Der Film bemächtigte sich inzwischen auch dieses gewaltigen Stoffes, der unter dem Titel "Ein Platz an der Sonne" mit Montgomery Clift und Elisabeth Taylor in den Hauptrollen auf die Leinwand gebracht wurde. Dreisers herbe Darstellungsweise und die mystischen Motive, die seinen Naturalismus vertiefen, verleihen all seinen großen Romanen einen wuchtigen und imponierenden Charakter. Seine kompromißlose Lebenstreue macht seine Werke, wie Sherwood Anderson es formulierte, "nicht zu Romanen, sondern zu ungeheuren Erlebnissen". Als Dreiser, der in der "Geschichte meiner selbst" eine auf mehrere Bände angelegte fragmentarische Autobiographie schrieb, 1945 starb, war er gegen alle Anfeindungen der bedeutendste Vertreter des dokumentarischen Realismus und einer der größten Romanciers seiner Zeit.